Alte Pfeifenfabrik Schweina: Ein Konzept für die intelligente Revitalisierung von Dörfern
Autor: Enisa
Lesedauer: 5 Minuten
Inhalt
- Auch Dörfer sind wichtig
- Der Fall Schweina: Die Fabrik „Pfeifen und Holz“
- Die Vision des Projekts
- Die bahnbrechenden Forschungen und Innovationen des Projekts
- Welches sind die wichtigsten künftigen Verwendungszwecke?
- Wie diese Ziele erreicht werden können
- Der Bauhaus-Kindergarten
- Erwartete Wirkungen des Projekts
Auch Dörfer sind wichtig
Das Leben in europäischen Dörfern sieht sich heutzutage mit drastischen Veränderungen konfrontiert, vor allem aufgrund des demografischen Wandels. Die Geburtenrate sinkt, das Durchschnittsalter der Bürgerinnen und Bürger steigt, und viele Menschen ziehen in die Städte und hinterlassen verlassene Gebiete. Jüngsten Statistiken zufolge würden zwar 44 % der Menschen in Deutschland lieber auf dem Land leben. Das bleibt allerdings leider ein Wunschgedanke, denn die ländlichen Gebiete haben viele Probleme und nicht genügend Anziehungskraft für neue Bewohner:innen. Neben der Verdichtung der Städte und der Schrumpfung der Dörfer sind auch viele soziale Herausforderungen und eine vielschichtige Abkopplung von den entwickelteren Regionen oft die Folge. Einerseits ist es richtig, dass die Städte große Probleme aufweisen und besondere Aufmerksamkeit benötigen, andererseits dürfen aber auch die Dörfer und Kleinstädte nicht vergessen werden, weshalb unser Vorschlag einen besonderen Schwerpunkt auf die ländlichen Gebiete legt.
In diesem Blogpost stellen wir das Beispiel des deutschen Dorfes Schweina vor, das einen innovativen Ansatz zur Schaffung integrativer, nachhaltiger und schöner Orte auch in ländlichen Gebieten darstellt. Die Absicht ist, dass der Fall Schweina auf andere Dörfer in Deutschland und ganz Europa übertragen werden kann, auch wenn sie nicht die gleichen baulichen Voraussetzungen haben.
Der Fall Schweina: Holz- und Pfeifenfabrik
Schweina ist ein Ortsteil der Stadt Bad Liebenstein im Wartburgkreis in Thüringen. Die Stadt ist nur eine Stunde von Weimar entfernt, dem Ort, an dem Walter Gropius 1919 das „Staatliche Bauhaus“ gründete. Hier fanden wir einen versteckten, prominenten Ort des Handwerks, einen längst verblichenen Erfolg und ein Zeugnis der Tradition, das viele Jahre ungenutzt lag: Die bekannte Holz- und Pfeifenfabrik. Die 1887 gegründete Fabrik liegt im Zentrum des Dorfes, und große Teile der Gebäude und Innenräume sind nach den Prinzipien des späteren Bauhauses mit einfacher und klarer Architektur sowie geraden Linien, Formen und Farben gebaut.
Dem Bezirk ist es bisher nicht gelungen, den einstigen Erfolg in die heutige Zeit zu übertragen, sodass aus dem damaligen Symbol des Stolzes nun ein tägliches Mahnmal für eine mittlerweile lange Krisenzeit geworden ist. Im Jahr 2020 wurde das Gelände von der Gemeinde mit dem Ziel erworben, das Dorfzentrum zu revitalisieren, der Gesellschaft dieses kulturelle Erbe zurückzugeben und es zu einem europaweiten Symbol und Leuchtturm für eine neue Ära des innovativen, integrativen und nachhaltigen ländlichen Lebens zu machen.
Die Vision des Projekts
Das Projekt hat viele Ziele, die in einem systematischen Ansatz miteinander verbunden sind. Der Schwerpunkt liegt nicht nur auf der Wiederbelebung der Fabrik selbst, sondern auch auf der Frage, wie sie und die Architektur im Allgemeinen als Katalysator für die Lösung von Problemen auf verschiedenen Ebenen, vom Dorf bis zur Region, dienen können. Ziel ist die Entwicklung des Gebietes, während welcher die Bürger:innen gehört werden, neues Leben einziehen kann und demonstriert wird, dass Schweina und jedes andere ländliche Gebiet ein lebendiger Ort voller Kreativität und Zusammenhalt werden kann.
Den resignierten Bewohner:innen Schweinas soll das Gefühl der Zugehörigkeit zurückzugeben werden; sie sollen Teil von etwas werden und persönlich von der Entstehung neuer Orte profitieren. Damit dies Wirklichkeit werden kann, sind neue Paradigmen und Methoden für die Gestaltung notwendig – insbesondere ein tiefgreifender inklusiver und partizipativer und damit innovativer Gestaltungsprozess. Um diese neu entwickelten Gestaltungsprinzipien greifbar und übertragbar zu machen, bedarf es eines wissenschaftlichen Ansatzes, der den Prozess begleitet, die neu gewonnenen Erkenntnisse würdigt sowie deren wesentliche Prinzipien herausarbeitet.
Die Erreichbarkeit der ersten beiden Ziele hängt von der tatsächlichen Anziehungskraft ab, die der neu gestaltete Bereich der Fabrik auf die Menschen ausübt. Während der Neugestaltungsprozess selbst eine starke und messbare Sogwirkung auf die beteiligten Menschen und darüber hinaus entfalten sollte, ist ein Rahmenprogramm für den nachhaltigen Erfolg eines solchen Standorts unerlässlich. Kunst, Kultur und Bildung werden die Kernelemente für die Nutzung des Areals und die wichtigsten Säulen für den sozialen Teil des Vorschlags sein. Wir sind der festen Überzeugung, dass Kunst und Kultur in Verbindung mit Bildung Menschen zusammenbringen, den demokratischen Diskurs stärken, Identität schaffen, über wichtige gesellschaftliche Themen aufklären und die Angst vor der Globalisierung abbauen können. Ziel ist es, wissenschaftlich zu beweisen, dass ein solches Sozialprogramm die oben genannten Herausforderungen bewältigen kann und dass die gewonnenen Erkenntnisse auf ähnliche Kontexte übertragen werden können, auch wenn dort nicht die gleichen baulichen Ressourcen existieren.
Wenn wir davon sprechen, den Erfolg von Methoden und Prozessen wissenschaftlich zu belegen, sind wir uns bewusst, dass wir dies nicht ohne die Hilfe von Technologie und Daten erreichen können. Das Projekt sieht eine klare Strategie vor, welche Kommunikation, Datenerfassung während des Entwurfsprozesses, eine systematische Durchführung des Sozialprogramms und die Bereicherung der Funktionen durch innovative Elemente ermöglicht.
Von Anfang an war klar, dass das Projekt einen ganzheitlichen Ansatz haben muss, um das Gesicht von Schweina zu verändern und eine neue Identität zu schaffen. Deshalb wird neben den oben genannten Kernelementen ein ganzheitliches Programm skizziert, das sogar mit einem Mobilitätskonzept und dem Tourismussektor verzahnt ist.
Die bahnbrechenden Forschungen und Innovationen des Projekts
Die bahnbrechenden Forschungen und Innovationen des Projekts beziehen sich auf verschiedene Aspekte des Projekts. Zweifelsohne sind Nachhaltigkeit und die Wiederbelebung des ländlichen Raums auf intelligente Art und Weise ein innovativer Teil des Projekts. Das Neuartigste an dem Projekt ist jedoch die Forschung zur Neuerfindung der Art und Weise, wie wir unsere Schüler:innen auf die sich schnell verändernde, digitalisierte Welt vorbereiten – angefangen bei den Kleinsten. Das Konzept greift die Idee des Kindergartens von Friedrich Fröbel auf, bringt sie in die Moderne und verbindet sie mit dem Bauhaus. Fröbels Idee entstand in genau dieser Region – im Sinne des Neuen Europäischen Bauhauses soll diese Idee aus einer gestalterischen Perspektive gedacht, auf den neuen Bereich übertragen und um die Aspekte Diversität & Inklusion, Digitalisierung und den Bezug zu Kunst & Kultur ergänzt werden.
Ein wichtiges Thema des Projekts ist die Bürgerbeteiligung, die stärker sein soll als bei regulären Gestaltungsprozessen. Dieser Aspekt, der die verbindende Kraft von Kunst und Kultur nutzt, ist eine Kombination, die nicht ganz neu ist, aber noch nicht voll ausgeschöpft wird. Der bahnbrechende Teil der zu entwickelnden Methodik ist die Messbarkeit des Einflusses von Design, Kunst und Kultur auf die soziale Entwicklung in einem Ort wie Schweina. Zwar gibt es bereits viele konzeptionelle Arbeiten über die Kombination von Kunst und Kultur und Design, aber die Messbarkeit und Systematisierung von Designprinzipien, die einen verlorenen Ort wiederbeleben, ist bahnbrechend.
Welches sind die wichtigsten künftigen Verwendungszwecke?
Eine detaillierte Zielgruppenanalyse der zukünftigen Nutzer:innen des Standortes mit besonderem Fokus auf die aktuellen Herausforderungen, denen Schweina gegenübersteht und die es zu lösen gilt, führte zu dem Ergebnis, dass das größte Potenzial in der Anziehungskraft für Familien liegt. Daher wurden die primären zukünftigen Funktionen und Nutzungen des Standorts unter Berücksichtigung der speziellen Fokus-Zielgruppe ausgearbeitet und die Funktionen gefunden, die zu einem attraktiven ländlichen Zentrum für Familien beitragen.
Das Projekt sieht eine nutzungsgemischte Entwicklung vor, die sich an der Idee der „10-Minuten-Stadt“ orientiert, wie sie von Interreg Europe formuliert wurde. Dieses aufstrebende Forschungsgebiet für städtische Umgebungen wird auf eine ländliche Umgebung übertragen, um Familien eine attraktive Alternative zum stressigen städtischen Leben zu bieten und einen zufriedenstellenden Lebensraum zu finden, der Kindern und Eltern die Möglichkeit gibt, sich sinnvoll zu entfalten.
Nicht zuletzt will das Projekt, wie eingangs erwähnt, ein Leuchtturmprojekt sein und nachhaltige Lösungen für das Gebiet schaffen. Der Vorschlag zielt darauf ab, mit dem Green Deal der EU übereinzustimmen und legt während des gesamten Projekts einen großen Schwerpunkt auf nachhaltige und erneuerbare Denkweisen, Werkzeuge und Bauprozesse.
Wie können solche Ziele erreicht werden?
Ein Projekt dieser Größenordnung ist in Bezug auf das erforderliche Budget, den Zeitplan und das Team sehr komplex. In dem Wissen, dass die Gesamtvision ihr volles Potenzial erst langfristig und mit weiteren zu organisierenden Finanzmitteln entfalten wird, dient dieser Vorschlag daher als Ausgangspunkt, der dazu beitragen soll, die wichtigsten Merkmale des Projekts zu entwickeln und, was noch wichtiger ist, einen Rahmen zu schaffen, der den Grundstein für die Ausweitung des Projekts auf das gesamte Gebiet legt, um der ganzheitlichen Vision für die „alte Pfeifenfabrik“ gerecht zu werden und das Wissen und die Ideen auf europäischer Ebene zu teilen, damit andere von Anfang an auf kooperative, co-kreative Weise davon profitieren können.
Daher musste es einen klaren und erkennbaren Rahmen für diesen Vorschlag geben, der als Ausgangspunkt und Impulsgeber dient. Da klar ist, dass es so früh wie möglich ein sichtbares und gebautes Ergebnis in dem Gebiet geben muss, wurde ein Gebiet als beispielhafter Teil ausgewählt, auf dem der programmatische Rahmen aufbauen kann. Mit Blick auf die Analyse der Zielgruppen und zukünftigen Nutzungsarten, die Anforderungen der Bürger:innen und Familien und die Entwicklung eines klaren Alleinstellungsmerkmals des Gebiets hat die Ausarbeitung gezeigt, dass das größte Potenzial, um Familien anzuziehen, in den Bereichen Kinderbetreuung und Bildungsangebote liegt, so dass der Schwerpunkt für das erste bauliche Ergebnis auf dem Bauhaus-Kindergarten und dem Zentrum für Kunst und Kultur liegt.
Die Ergebnisse der ersten Entwicklungsphase sind wie in der Abbildung dargestellt unterteilt: der Hardware-Teil – der Bauhaus-Kindergarten; der Software-Teil – Apps und Tools, die für die Durchführung des Projekts verwendet werden; die Programmierung – die verschiedenen Programmierungen, die anfangs vorgesehen sind.
Projekte wie die „Alte Pfeifenfabrik“ sind mit einer Komplexität konfrontiert, die nur sehr schwer zu bewältigen ist. Oftmals sammelt sich bei ähnlichen Projekten in den Entwicklungsprozessen viel Wissen an, das aber leider bei den Projektmitarbeiter:innen verbleibt und nicht systematisch verfügbar gemacht wird. Hinzu kommen organisatorische Probleme mit überforderten Projektleiter:innen, fehlenden Fachleuten und langwierigen Prozessen beim Aufbau eines Projekts. Nicht zuletzt besteht bei solchen Projekten ein hoher Bedarf an Beteiligung, aber leider ist es oft nicht einfach, eine große Zahl von Menschen zu erreichen.
Das Projekt denkt daher an eine einfach zu handhabende digitale Plattform, die die Entstehung und Programmierung für Schweina erleichtert und die sich leicht auf vergleichbare Projekte übertragen lässt.
Der Bauhaus-Kindergarten
Zwischen dem Konzept des Kindergartens und dem Bauhaus gibt es von Anfang an eine Verbindung: Der Name des Kindergartens selbst leitet sich von der Bauhaus-Bewegung ab, die in der Stadt Weimar in Thüringen entstand. Thüringen ist die Region, zu der auch Schweina gehört, und der Einfluss der Bauhaus-Bewegung ist in der gesamten Region bis heute spürbar. Friedrich Fröbel wiederum, der Erfinder des Kindergartens, stammt ebenfalls aus Bad Liebenstein, der Gemeinde, zu der Schweina gehört.
Die Bauhaus-Bewegung ist ein Leitmotiv für das Projekt des Kindergartens für die „alte Pfeifenfabrik“. Auch wenn der Bauhaus-Kindergarten nicht das Ziel hat, eine neue Bewegung zu werden, so will der Vorschlag doch die Geschichte als Symbol wieder aufleben lassen und auf diesen Prinzipien aufbauen, die einst innovativ waren. Genau wie die Bauhaus-Bewegung will die „alte Pfeifenfabrik“ die gebaute Umwelt mit einer sozialen Mission verbinden und Kunst, Architektur und Handwerk als Katalysatoren zur Erreichung dieser Mission nutzen. Da der Kindergarten der erste gebaute Projektbestandteil sein wird, der gleichzeitig eine wichtige soziale Aufgabe erfüllt, wird er der erste exemplarische Ort sein, an dem die soziale Rolle des gebauten Areals „alte Pfeifenfabrik“ erkundet wird.
Das neu entwickelte Bauhaus-Manifest für den Bauhaus-Kindergarten in der Alten Pfeifenfabrik stützt sich deshalb vor allem auf vier Säulen: Aktiver Lebensstil, Technik, Praktische Arbeit und (Gender-)Inklusion.
Erwartete Wirkung des Projekts
Aus regionaler Sicht, wenn man von einer Zoom-in-Perspektive zu einer Zoom-out-Perspektive übergeht, geht es zunächst einmal um die direkten Auswirkungen innerhalb des Landkreises Schweina. Ziele sind die Steigerung der Zufriedenheit der Bürger:innen, indem ihnen ein neuer Lebensraum geboten wird, sowie die Überwindung langjähriger sozialer Probleme. Damit schafft das Projekt in einem sehr kurzfristigen Wirkungsbereich neue Polaritäten innerhalb des Dorfes, neue Anziehungspunkte – es entsteht ein lebendiger Knotenpunkt, und das Leben kehrt ins Dorf zurück.
Zweitens ist eine Wirkung zu erwarten, die über den Stadtteil Schweina hinausgeht. Die voll ausgebaute „Pfeifenfabrik“ und auch die Ebenen davor mit dem Bauhaus-Kindergarten als Herzstück haben das Ziel, Menschen aus den Nachbardörfern oder aus der Stadt Bad Liebenstein anzuziehen. Eine Drehscheibe für Kunst & Kultur und deren schrittweiser Ausbau zu einem Zentrum für sinnvolles gesellschaftliches Leben im Umkreis von nur wenigen Kilometern wird die gesamte Region deutlich aufwerten.
Die Kulturdrehscheibe mit dem Kindergarten, der Jugend- und Kinderschule und der ISoPA sowie der Bauernmarkt, der als eine der ersten Ideen realisiert werden soll, werden neue Anziehungspunkte für Schweina werden.
Die zu erwartenden regionalen Auswirkungen des Projekts sollen nicht mit der Stadt Bad Liebenstein aufhören. Es wird eine Wirkung auf das gesamte Bundesland Thüringen angestrebt. Der Ort soll nicht nur Tagesbesucher:innen anlocken, die nach Schweina kommen, um das Kulturerbe im neuen Gewand zu erleben, sondern auch, um sich dort für eine Inspirationszeit, für Kunstworkshops oder für eine temporäre Arbeit mit der zu schaffenden Gemeinschaft aufzuhalten.
Auf nationaler Ebene in Deutschland wird die Wirkung darin bestehen, ein lebendiges Beispiel für eine positive Entwicklung eines ländlichen Raums zu haben – und das Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, um dem guten Beispiel von Schweina zu folgen. Diese Wirkung wird sich auf europäischer Ebene fortsetzen.
Zugehörige Inhalte
Projekt
UpVisit – Die Museumsapp
Podcast